Landtagsrede vom 26. Oktober 2016

Stenografischer Bericht der 108. Sitzung des Niedersächsischen Landtags

Tagesordnungspunkt 2: Unterrichtung durch den Ministerpräsidenten zum Thema „Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab 2020“

Reinhold Hilbers (CDU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Herr Ministerpräsident, das war ein mäßiger Vortrag für ein mäßiges Ergebnis. Begeisterung sieht anders aus.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP – Widerspruch und Lachen bei der SPD und bei den GRÃœNEN)

Der große Wurf ist Ihnen nicht gelungen. Schauen Sie nur in die einschlägigen Tageszeitungen! Dann stellen Sie fest, dass allenthalben davon die Rede ist, dass die Regelungen eine Schwächung des Föderalismus bedeuten und keine Leistungsanreize setzen, um eigene Einnahmen in den Ländern zu forcieren. In den Landeskassen bleiben von 1 Euro jeweils nur 10 Cent übrig. Das haben Sie nicht behoben. Es war auch der Anspruch verkündet worden, mehr Transparenz in das Finanzausgleichssystem zu bringen. Auch damit sind Sie gescheitert. 

Den gordischen Knoten, Herr Ministerpräsident, haben Sie am Ende nur durchschlagen können, weil der Bund Ihnen bei der Beteiligung an Finanzmitteln ganz erheblich entgegengekommen ist. Dafür haben die Länder aber weitreichende Kompetenzverschiebungen zugunsten des Bundes und zulasten der Länder in Kauf nehmen müssen.

Herr Ministerpräsident, selbstbewusster Föderalismus besteht darin, dass die Länder untereinander den horizontalen Finanzausgleich stärken, sprich: die Finanzbeziehungen untereinander ausgleichen. Dazu kann ich nur sagen: Fehlanzeige! – Sie haben das Instrument zwischen den Ländern zu einem Instrument der Alimentation vom Bund zu den Ländern gemacht. Die Länder hängen zukünftig am Tropf des Bundes, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP – Dr. Stefan Birkner [FDP]: So ist es!)

Das stellt die Zeitung Die Welt zu Recht fest. Dort heißt es â€" ich zitiere â€":

„Der Bund zahlt also die Zeche. Aber die Länder berappen dafür einen hohen politischen Preis. Denn den Geldsegen gibt es natürlich nicht umsonst. Im Gegenzug müssen die Bundesländer Kompetenzen abgeben.“

Die FAZ schreibt in ihrem Bericht:

„Der ohnehin blutleere Föderalismus in Deutschland wird … dahinsiechen.“ Meine Damen und Herren, die Länder und auch Sie, Herr Ministerpräsident, haben es versäumt, den Föderalismus zu stärken und die Aufgabenverantwortung und die Finanzverantwortung in den Ländern stärker zusammenzuführen, Sie haben es versäumt, die Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen grundsätzlich neu zu regeln, und Sie haben es versäumt, für mehr Transparenz zu sorgen." 

Richtig wäre es gewesen, mehr Anreizfunktionen zu setzen, die eigenen Einnahmen und die eigene Wirtschaftskraft in den Ländern zu stärken, die Mischfinanzierungen abzubauen, mehr Transparenz zu schaffen und auch mehr Wettbewerb unter den Bundesländern zu initiieren, statt Gleichmacherei zu organisieren.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Gerade Letzteres, Herr Ministerpräsident, nämlich ein wirklicher Wettbewerbsföderalismus mit einer eingehenden Stärkung der Autonomie der Länder, hätte dem Staatswesen gutgetan. Das stellen wir an den Fragen fest, die hier diskutiert werden. Aber dafür sind Sie nicht. Und weil diese Finanzausgleichsregelung das eben nicht tut, hat Herr Finanzminister Schäuble sie immer bekämpft.

Sie, Herr Ministerpräsident, haben nicht die Kraft dazu, eigene Einnahmen zu generieren und eigene Anreize zu setzen, beispielsweise mit Zuschlagsrechten auf die Steuern für die Länder und mit Freiheit für die Erbringung der eigenen Aufgaben in Verantwortung der Länder. Stattdessen haben Sie es umgedreht. Sie wollen keinen wirklichen Wettbewerbsföderalismus, weil Sie mit Ihrer Landespolitik einem Wettbewerbsföderalismus nicht standhalten wollen und nicht standhalten können.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Sie haben das System des Finanzausgleichs auf den Kopf gestellt. Sie haben die letzte Stufe, die eigentlich dazu da war, die Feinheiten im bisherigen System auszutarieren, jetzt als Grundstufe nach oben gezogen und zum grundsätzlichen Ausgleichsmechanismus erklärt. Sie organisieren den Finanzausgleich aus Bundesmitteln.

Herr Ministerpräsident, Sie haben davon gesprochen, wie schwierig die Lage war. Sie sind meines Erachtens zwischen die Mühlsteine der Interessen geraten. Auf der einen Seite standen Bayern und Hessen, die Verfassungsklage eingereicht haben. Auf der anderen Seite saßen die Haushaltsnotlageländer. Außerdem saßen Sie bei Ihrer Kollegin aus NRW am Tisch, die unbedingt die Umsatzsteuervorwegverteilung aufgeben und selbstbewusst wollte, dass NRW Zahlerland bleibt.

Aus diesem Dilemma sind Sie mit einem System herausgekommen, das für Niedersachsen das denkbar schlechteste ist. Das sagen auch Ihre Fachleute im Finanzministerium und in der Staatskanzlei.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Die Länder profitieren unterschiedlich von diesen Regelungen. Das ist auch entsprechend dargelegt worden. Sie haben eben gesagt, Herr Ministerpräsident:

„Für den Länderfinanzausgleich musste das Interesse Niedersachsens unter diesen Bedingungen darin bestehen, in etwa wie andere westdeutsche Flächenländer abzuschneiden.“

Das hat Niedersachen aber nicht, Herr Ministerpräsident! Ich sage Ihnen, was veröffentlicht wird: Die Entlastung je Einwohner liegt in Niedersachsen bei 76 Euro. Damit liegen wir auf Platz 16. Für Sachsen liegt der Wert bei 189 Euro, für Sachsen-Anhalt bei 202 Euro, für Thüringen bei 219 Euro, für Bayern bei 106 Euro, für Brandenburg bei 114 Euro und für Bremen bei 732 Euro.

(Zurufe von der CDU: Hey! – Gerald Heere [GRÃœNE]: Sie vergleichen Birnen mit Äpfeln!)

Ich kann das fortsetzen. Sogar Nordrhein-Westfalen wird mit 80 Euro deutlich besser entlastet.

Herr Ministerpräsident, Sie sind Schlusslicht unter den Profiteuren. Damit ist Niedersachsen in die Lage geraten, vom Mehr am Wenigsten zu bekommen. Deswegen haben Sie schlecht abgeschnitten. Sie haben nicht nur im System falsch verhandelt, Herr Ministerpräsident, Sie haben auch monetär für Niedersachsen falsch verhandelt.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Es sind nämlich insgesamt 5,3 % weniger als für Nordrhein-Westfalen. Wir profitieren 17 % weniger als Hessen, 20 % weniger als Schleswig-Holstein, 40 % weniger als Bayern und 550 % weniger als das Saarland. Das Saarland hat 550 % mehr davon profitiert als das Land Niedersachsen.

Das ist Ihr Verhandlungsergebnis, von dem Sie behaupten, es sei gut für Niedersachsen. – Nein, das ist schlecht für Niedersachsen und für den Föderalismus!

(Zustimmung bei der CDU)

Um zu einer guten Lösung zu kommen, sind die Länder im Gegenzug in ein Alimentationssystem des Bundes überführt worden, das Kompetenzen abgibt und den Föderalismus schwächt. Dazu möchte ich ein Zitat anführen, das aus Ihren Regierungskreisen stammt und die Dinge ganz gut auf den Punkt bringt. Gestern wurde Finanzminister Schneider in der NWZ gefragt – ich zitiere -:

„Macht Ihnen nicht Bauchschmerzen, dass das Land einen Teil seiner Zuständigkeiten abgibtÄ Schneider: Ja, es ist schon so, dass die gesamte Neuregelung tendenziell eher die Bundesregierung stärkt. Aber so ist das, wenn man anderer Leute Geld haben will!“

Besser als Ihr Minister Schneider kann man den Ausverkauf von Landesinteressen nicht formulieren!

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Zukünftig wird der Stabilitätsrat über Ihre Maßnahmen wachen.

(Zuruf von der SPD: Wir haben nichts zu verbergen!)

Der Stabilitätsrat wird sich bei den Ländern anschauen, wie die Schuldenbremse eingehalten wird und wie mit den Ausgaben umgegangen wird. Weitreichende Kontrollrechte sind dort installiert worden. Es sind Kontrollrechte für den Bundesrechnungshof bei Mischfinanzierung der Länderaufgaben installiert worden. Da wird man sich zukünftig der Bundeskontrolle unterwerfen müssen.

Bei der Digitalisierung schreibt Ihnen der Bund vor, wie das im Einzelnen zu laufen hat. Der Bund hat sich Weisungsrechte in der Steuerverwaltung vorbehalten. Der Bund wird zukünftig bei Investitionen im Bildungsbereich und Ähnlichem, was Sie hier so gepriesen haben, genau hinschauen, wofür Sie das Geld ausgeben werden.

Der größte und wohl einschneidendste Bereich, den Sie zugestehen mussten, ist die Aufgabe der bisherigen Auftragsverwaltung im Bereich der Bundesfernstraßen. Daran ändert auch Ihre Protokollerklärung nichts, die Sie abgegeben haben. Im Nachhinein; denn bei der ersten veröffentlichten Erklärung war sie nicht dabei. Erst auf unsere Nachfrage hin, warum Sie dazu nichts gesagt hätten, sind Sie aktiv geworden.

(Zuruf von Johanne Modder [SPD])

– Frau Modder, wer viel spricht, hat wenig Zeit zum Denken. Das sollten Sie immer berücksichtigen.  (Beifall und Heiterkeit – Zuruf von der SPD: Das sagt der Richtige! – Petra Tiemann [SPD]: Fassen Sie sich mal an die eigene Nase! – Weitere Zurufe) – Hören Sie doch einfach zu, wie es war!

Sie haben das Ergebnis im Haushaltsausschuss vorgelegt. Da gab es keine Protokollerklärung zu dem, was Niedersachsen dort gesagt hat. Erst auf meine Frage hin, was Sie denn dazu gesagt haben, sind Sie aktiv geworden. Gestern Morgen – siehe da! – gab es dann per E-Mail eine nachgelieferte Protokollerklärung Niedersachsens, dass man Probleme damit hätte, die Auftragsverwaltung im Bereich der Bundesfernstraßen aufzugeben.

Zu dieser Frage gibt es eine deutliche Positionierung des Landtags. Trotzdem haben Sie sich in diesem Punkt weichklopfen lassen. Sie haben sich nicht durchgesetzt und werden Planung, Bau und Unterhaltung der Bundesfernstraßen zukünftig an den Bund abgeben.

Wenn Sie sagen, darüber werden noch Diskussionen geführt, glauben Sie doch nicht allen Ernstes, dass dieses Paket noch einmal wieder aufgeschnürt wird. Das ist doch fester Bestandteil dieses Geschäfts. Dafür, dass Sie Bundesgeld bekommen, haben Sie sich diese Zuständigkeit abringen lassen. Das ist genau das, was die Welt und andere Zeitungen geschrieben haben:

(Zurufe von der SPD)

dass Sie die Länderinteressen auf dem Altar des schnellen Geldes geopfert haben, weil Sie an zusätzliches Geld kommen müssen, ohne dass Sie Ihre Politik nicht durchsetzen können.

Herr Minister Lies, Sie beklagen die Gefahr des Fortgangs von Planungsarbeiten und wichtigen Autobahnprojekten in Niedersachsen. Was ist das denn für eine Arbeitsteilung in dieser LandesregierungÄ – Der eine stellt sich heute Morgen hier hin und bejubelt das Ergebnis, das er bei den Finanzausgleichsverhandlungen erzielt hat, und der andere äußert sich in großen niedersächsischen Tageszeitungen darüber, dass alles zum Stillstand kommt, was in Niedersachsen laufen soll. Das ist doch keine Arbeitsteilung, die Niedersachsen voranbringt. Was machen Sie da in Ihrer LandesregierungÄ

(Beifall bei der CDU – Zustimmung bei der FDP – Unruhe)

Diese Vielstimmigkeit führt doch nicht dazu, dass es in Niedersachsen deutliche Positionierungen gibt. Darüber, was Sie dort gemacht haben, können auch andere außerhalb Niedersachsens nur den Kopf schütteln.

Ich fasse zusammen: Das von Ihnen vorgetragene Ergebnis der Finanzausgleichsverhandlungen, bei dem Sie vom Durchschlagen eines gordischen Knotens gesprochen haben, ist kein Erfolg. Das ist für Niedersachsen und für die Länder ein deutlicher Misserfolg, meine Damen und Herren.

(Zustimmung bei der CDU und bei der FDP)

Das ist für Niedersachsen ein schlechtes Ergebnis – der 16. Platz! -, und das ist für den Föderalismus ein schlechtes Ergebnis. Das ist eine Schwächung des Föderalismus, eine Stärkung des Bundes und schafft eine Abhängigkeit vom Bund. Demnächst sind wir Bittsteller beim Bund statt selbstbewusste Länder, die den Bund bilden, wie es in unserer Verfassung festgelegt ist.

Das, was Sie hier machen, ist der Ausverkauf von Landesinteressen. Das ist der kleinste gemeinsame Nenner, den Sie haben finden können, Herr Ministerpräsident. Das, was Sie gemacht haben, ist ideenlos, kraftlos und mutlos.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Nicht umsonst wird das überall so zitiert, wie ich Ihnen das vorgetragen habe. Das ist nicht nur unsere Wahrnehmung, sondern dies wird überall im Land so wahrgenommen.

Ich zitiere aus dem Rundblick. Dort heißt es unter der Überschrift „Ein Tiefschlag für die Länder“: 

„Der vergangene Freitag war ein schwarzer Tag für den Föderalismus in Deutschland. Doch die meisten Ländervertreter, die an den Verhandlungen über den Länderfinanzausgleich beteiligt waren, wollten sich das nicht eingestehen. Sie machten gute Miene zum bösen Spiel. Dabei haben sie sehenden Auges einen entscheidenden Beitrag zur Schwächung der Länder und zur Stärkung des Bundes getan. Deutschland beginnt sich zum Negativen zu verändern.“

Herr Ministerpräsident, ich finde, der Rundblick hat recht in Bezug auf das, was Sie dort verhandelt haben.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Ich kann das weitermachen:  Handelsblatt vom 13. Oktober: „Mutlose Föderalisten“.

Süddeutsche Zeitung vom 17. Oktober 2016:

„Das Versagen der Länder. Die Länder haben sich zu Recht in den Verhandlungen über die Neuordnung des föderalen Finanzausgleichs durchgesetzt. Was sie nicht wahrhaben wollen: Sie haben diesen Erfolg teuer zu bezahlen.“ 

„Der Bund zahlt, die Länder geben aus“,

schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 15. Oktober.

Die Welt schreibt am 15. Oktober:

„Schäuble zahlt und bekommt mehr Kontrolle“.

Das ist das Ergebnis, das Sie erzielt haben, Herr Ministerpräsident. Es ist schade, dass Sie das hier nicht eingestehen und dass Sie dieses schlechte Ergebnis, das Sie erreicht haben, nicht wenigstens etwas detaillierter, mit etwas weniger Begeisterung, sondern mit etwas mehr selbstkritischen Tönen vorgetragen haben.

Herr Ministerpräsident, wenn Sie schon nicht ordentlich aushandeln können und wenn Sie schon mit diesem schlechten Ergebnis wiederkommen, dann machen Sie es wenigstens so, wie es Ihr Finanzminister macht: Geben Sie zu, dass das ein Ausverkauf der Länderinteressen ist! Dann könnten Sie aufrechten Hauptes vor dieses Parlament treten und dieses schlechte Ergebnis verkünden.

(Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Das ist kein Erfolg, sondern das ist und bleibt ein Misserfolg, den Sie nicht schönreden können.

Vielen Dank.

(Starker, anhaltender Beifall bei der CDU und bei der FDP)

Präsident Bernd Busemann: Vielen Dank, Herr Kollege Hilbers.

 

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